Den Mut zur Begegnung
Sonntags
schläft meine Frau aus, da stehe ich dann mit unserem Sohn
auf. Meistens so zwischen 6:30 und 7 Uhr. Denn mit fast 14
Monaten will er natürlich nichts vom Tag verpassen und
ordentlich was erleben. Da ich eher ein Abendmensch bin, ist
mir die Aufstehzeit grundsätzlich schon früh, und am Sonntag
erst recht.
Also versuche ich das Beste draus zu machen (natürlich ist
allein die Zeit mit meinem Sohn schon weltklasse), und fahre
dann manchmal Brötchen holen für das gemeinsame
Sonntagsfrühstück. So also auch letzten Sonntag. Und dabei
treffe ich also vor 7 Tagen beim Bäcker einen Bekannten.
Das ist erst mal ja nichts
Ungewöhnliches und passiert Ihnen wahrscheinlich oft ähnlich.
Wir begrüßen uns also, und ich
frage, wie es Ihm geht. Er erzählt mir von einem Kuraufenthalt, einer neuen
Liebe und einer bevorstehenden beruflichen Veränderung in seinem Leben. Ich
berichte Ihm, wie es mir gerade geht, dass mein Sohn sich gut entwickelt und wie
die Ehe mit meiner Frau gerade so läuft. Wir wünschen uns gegenseitig einen
schönen Sonntag, alles Gute für den weiteren Weg und verabschieden uns.
Ich hole dann meine Brötchen und fahre mit dem Rad nach Hause. Wie gesagt, alles
nichts wirklich Besonderes. Das Besondere an dieser kurzen, ca. 3-4 minütigen
Begegnung ist mir erst zu Hause aufgefallen. Es ist die offene, intensive und
herzliche Art dieser Begegnung. Angefangen beim „sich in die Augen sehen und den
Anderen wahrnehmen“ während der Begrüßung, weiterhin zu den persönlichen Themen
des Gespräches, bis hin zu der herzlichen Verabschiedung mit den guten Wünschen.
Diese Erfahrung am
Sonntagmorgen, so zwischen Tür und Backwaren, schärft dann natürlich meinen
Blick für Begegnung im Allgemeinen, und ich achte seither vermehrt auf die Art
und Weise wie Menschen sich begegnen. Und das ist oft alles andere als offen und
herzlich, beobachte ich. Dabei ist es egal in welchem Lebensalter sich Menschen
treffen, sich begrüßen und austauschen, Manche Menschen schauen schon bei der
Begrüßung weg, andere sehen sich nicht beim miteinander reden an. Die jüngeren
Leute begrüßen sich zwar oft mit einer Art Umarmung, und auch die ist meistens
alles andere als herzlich. Das erinnert dann eher an einen Luftballontanz am
Kindergeburtstag, soviel Abstand ist da zwischen den sich Umarmenden.
Augenkontakt ist da oft auch Fehlanzeige. Und viel mehr als schmales Gerede,
sogenannter „Smalltalk“ kommt bei den meisten Begegnungen auch nicht raus. Klar,
das Wetter ist immer ein Thema, aber macht das wirkliche Begegnung mit einem
anderen Menschen aus?
Bei
all‘ dem fällt mir ein Zitat von Michel de Montaigne, einem Philosophen des 16.
Jahrhunderts, ein. Der sagte zum Thema folgendes: „Es ist genau so viel Abstand
zwischen uns und dem Anderen, wie zwischen uns und uns Selbst“. Soll heißen,
wenn ich nicht mit mir selbst gut verbunden bin, dann kann ich auch niemand
Anderem wirklich begegnen. Wenn ich nicht weiß, wer ich wirklich bin, wie kann
ich dann meinem Gegenüber von mir erzählen? Und das trifft meines Erachtens auf
jede Form der Begegnung zu, egal ob in der Familie, in einer Paarbeziehung, in
Freundschaften, dem Bekanntenkreis oder unter Arbeitskollegen. Wenn ich mir
vertraue und weiß wie es mir wirklich geht, dann kann ich auch einem Anderen
offen und herzlich begegnen. Und kann mich so zeigen wie ich bin, mit all‘
meinen Wünschen, Sehnsüchten und auch Ängsten. Es muß ja nicht immer Sonntags
beim Bäcker sein. Probieren Sie es doch mal aus, und haben Sie den Mut zur
Begegnung.
Denn: man kann das Leben nur vorwärts leben...
Ihr
Frank Schult
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